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Mentales Lagerfeuer

Joachim Schmitt

Unternehmenskulturen durch Learning-Circles entwickeln

Auszug/Leseprobe aus der Zeitschrift Organisationsentwicklung, Ausgabe 1/2025





von Joachim Schmitt

Eigenverantwortung und Kooperation sind in einer modernen Organisationskultur gleichermaßen gefragt. Das hier präsentierte «Peer-learning-Format» wirkt in diesem Sinne wie ein Lagerfeuergespräch: Kleine Gruppen treffen sich, tauschen sich vertieft zu Grundfragen des Zusammenlebens aus und gehen gewandelt daraus hervor. Eine Evaluation der TH Aschaffenburg zeigt, dass mit diesem Format größere Teilnehmergruppen in die orientierte Entwicklung von Mindset und Kollaborationskultur eingebunden werden können. Dabei wird deutlich, dass diese «Learning-Circles» keine Selbstläufer sind, sondern eine Begleitarbeit im Sinne des Facilitation brauchen.


In den letzten Jahren sind die Mitarbeitenden in Organisationen wieder stärker in den Fokus gerückt – prominent bspw. durch Frederic Laloux (2015). Die neuen Organisationskonzepte, Prozessarchitekturen und Führungskonzepte bedeuten für die beteiligten Personen einerseits eine verstärkte Eigenverantwortung mit all den damit verbundenen Anforderungen wie Reflexivität, Achtsamkeit und Selbstmanagement. Andererseits soll aus dieser Eigenverantwortung heraus eine intensive Kollaboration gepflegt werden, die vom wertschätzenden Umgang mit

Diversität über eine neue Fehlerkultur bis hin zum konstruktiven Konfliktmanagement vielfältige Ansprüche integriert.


Wenn Organisationen vor der Aufgabe stehen, diese Dimensionen als alltägliche Praxis zu kultivieren, greifen sie in die etablierten Muster und grundlegenden Annahmen ein, die sich im Laufe der Geschichte als Organisationskultur etabliert haben. Dabei geraten vielfältige Dimensionen des Alltagsverhaltens in den Blick, die sich bisher als erfolgreich erwiesen haben und weitergegeben werden (vgl. Schein, 2004). Wer mehr Selbstorganisation will, muss daher die beteiligten Menschen in diese Idee zunächst gegen die bestehende Kultur hinein entwickeln. Lässt sich aber Eigenverantwortung angeleitet lernen?


Mindset lernen – Grenzen etablierter Formate

Um Organisationskulturen breitenwirksam zu ändern, reicht es nicht, wenn Führungskräfte ins Einzelcoaching gehen und ihr in dividuelles Leitungshandeln anpassen. In Ergänzung dazu braucht es einen skalierbaren Ansatz, der sich zielorientiert für Teams bis hin zu ganzen Belegschaften einsetzen lässt und zu gleich den lernpsychologischen Anforderungen des Umlernens von Alltagsroutinen gerecht wird. Neben einem Verständnis für Strukturen und Prozesse werden damit das individuelle «Mindset» bzw. die Haltung der beteiligten Personen in den Blick genommen. Die neuere Lernforschung fordert für die Entwicklung des Mindsets und der daran gebundenen Alltagsroutinen mehrere Elemente (vgl. Schmitt, 2011, Roth, 2018, Langheiter, 2022):


1. kurze Einheiten (verarbeitbar) mit Impulsen (wissen), Reflexionen (verstehen), Übungen (aneignen) und einem Transfer in den Alltag (umsetzen)

2. persönliches Feedback von relevanten Personen (verankern)

3. alltagsbegleitend und wiederkehrend über einen längeren Zeitraum (iterativ)


Genau diese Ansätze werden auch in einem qualifizierten Coaching abgebildet und als wirksam identifiziert (vgl. Kotte u. a., 2016). Für die Breite von Teams und Belegschaften bleibt dieses Instrument schon aus Kostengründen jedoch weitgehend unzugänglich. An dessen Stelle werden Kampagnen, Seminare

oder Workshops gesetzt, die in ihrer Struktur allerdings den lernpsychologischen Anforderungen nicht ausreichend entsprechen (Baethge u. a., 2013).


Learning-Circles – ein Konzept der begleiteten Selbstorganisation

Vor diesem Hintergrund bietet das organisierte Peer-Learning in Gruppen eine Chance, um modernen Unternehmenskulturen in die alltägliche Praxis zu verhelfen. Die Idee des Formats lehnt sich an Gespräche am Lagerfeuer an: Menschen finden sich zusammen, erzählen von ihrem Tagwerk, tauschen Wissen aus und bereichern sich wechselseitig mit ihrem Feedback. Sie tun dies regelmäßig, in kurzen Abständen und entwickeln sich dabei in ihren Aufgabenfeldern wie auch in ihrer Persönlichkeit.


Die professionalisierte Begleitung von Menschen und Organisationen nutzt den darin angelegten Effekt des informellen Lernens schon lange. Jede Kleingruppenarbeit in einem Seminar greift auf die Kompetenz und Vertrauensbeziehung der Teilnehmenden zurück. In Gruppensupervisionen oder Teamcoachings sind die beteiligten Personen sogar die zentrale Ressource der

Lernarbeit. Allerdings werden diese Ansätze oft mit einer fachlichen Anleitung umgesetzt und eng moderiert. Damit spiegeln sie die Orientierung an Expertise und Hierarchie wider, wie sie in der Organisationswelt des 20. Jahrhunderts lebte (vgl. Laloux, 2015). Daneben hat sich, insbesondere seit den 80er Jahren, das Konzept der Kollegialen Beratung etabliert. Hier wird der Ablauf im Team selbst verantwortet und lediglich durch ein definiertes Schema gestützt (vgl. Tietze, 2010). «Der kompetente Teilnehmer» (Alkemeyer & Buschmann, 2017) ist also schon länger bekannt.


Ein integrierender Ansatz, der eine professionelle Begleitung mit hohen Selbstlernanteilen kombiniert, ist das Konzept der «Learning-Circles». Dabei werden Lerngruppen von vier bis sieben Personen über mehrere Wochen mit einem ausformulierten Leitfaden (Guide) durch ihre Lernreise geleitet. Wie in

der Kollegialen Beratung ist darin das Vorgehen beschrieben, das von den Teilnehmenden eigenverantwortlich umgesetzt wird. Zugleich werden mit diesem Guide thematische Impulse verschriftlicht oder mittels anderer Medien eingebracht. Wie in einem Seminar oder Workshop wird damit einerseits eine

inhaltliche Basis für den Austausch und eine Erweiterung des Wissens möglich. Andererseits wird über Reflexionsfragen die vorhandene Kompetenz der Peer-Group gehoben.


Ähnliche Formate von selbstorganisierten Lernkreisen sind zum einen «Working out loud», das John Stepper seit 2015 mittlerweile als kommerzielles Angebot etabliert hat. Es unterstützt insbesondere die digitale Sichtbarkeit und Vernetzung der beteiligten Personen (vgl. Stepper, 2020). Oder zum anderen der

Open-Source-Ansatz «LernOS», der seit 2016 maßgeblich von Simon Dückert auf den Weg gebracht wurde, und nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Entwicklung auf Selbstorganisation abzielt. Entsprechend sind die Tutorials kostenfrei im Internet abrufbar und eigenverantwortlich umzusetzen (www.

lernos.org). Neben diesen bekannten Ansätzen entwickeln Unternehmen eigene Formate des selbstorganisierten Lernens. Insgesamt ist die Qualität aber noch sehr unterschiedlich.


Anwendungsbeispiel: Lernreise New Work-Mindset

Um diese Idee für die Implementierung von modernen Organisationskulturen zu heben, wurde ein Peer-Learning-Format an der Technischen Hochschule Aschaffenburg im Rahmen von mainproject zusammen mit Wietasch & Partner (Wien) aufgesetzt und gemeinsam mit erfahrenen Führungskräften und Berater*innen ausgearbeitet. Als erstes Ergebnis wurde ein Leitfaden für Learning-Circles bereitgestellt, der die orientierte Entwicklung von Mindset und Alltagshandeln unterstützt. Dabei sollten die oben genannten Anforderungen der Lernpsychologie erfüllt und die Inhalte auf bestimmte Personas von Fach- und Führungskräften zugeschnitten werden. Die daraus entwickelten Peer-Learnings greifen wertvolle Impulse der etablierten Circle-Konzepte auf, zielen aber in Struktur und Inhalt ausdrücklich auf die Entwicklung moderner Unternehmenskulturen. Um sie in der Organisationsentwicklung nutzen zu können, waren folgende Aspekte wichtig:


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